Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Leverkusen e. V.

9. Folge: Wir brauchen dringend die Verkehrswende

Wir brauchen dringend die Verkehrswende!

 

Der Artikel aus dem Rad-Anzeiger 1-2022

Die Forderung nach einer dringend benötigten Verkehrswende trifft bei vielen gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern auf taube Ohren; so jedenfalls ist die Wahrnehmung beim ADFC Leverkusen. In persönlichen Gesprächen mit den Volksvertreterinnen und -vertretern bekommt man den Eindruck, dass die Verkehrswende von den politischen Parteien und Wählergruppen zwar gewünscht und mit Nachdruck bestätigt wird, es bei der parteiinternen Umsetzung jedoch offensichtlich hapert. Zurzeit wird von den Parteien nichts mehr unternommen, obwohl das Mobilitätskonzept 2030+ so viele Möglichkeiten bietet, die Verkehrswende für die Bürgerinnen und Bürger aktiv anzustoßen. Mehr zu diesem Thema später. Zuerst einmal schauen wir auf den Wechsel in der Landesregierung im Herbst letzten Jahres.

Der ADFC-Landesverband NRW gratulierte am 27.Oktober 2021 Hendrik Wüst zur Wahl zum nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, sieht die Wahl jedoch mit gemischten Gefühlen. Das persönliche Bekenntnis Wüsts, leidenschaftlicher Radfahrer zu sein, sei zwar begrüßenswert, reiche für eine Mobilitätswende aber nicht aus. Als Verkehrsminister hinterlasse er einige ungeordnete Baustellen. Zum Beispiel das völlig unzureichende, am 4. November 2021 im Landtag verabschiedete Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz, in dem die Änderungs- und Ergänzungswünsche der einzelnen Verbände, wie beispielsweise ADFC, Radkomm, BUND und NABU, in keiner Weise berücksichtigt wurden!! So können die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter mit den Wählerinnen und Wählern nicht umgehen!

Die Forderungen der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“

Noch einmal zur Erinnerung:

Die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ hat die mit über 200.000 Unterschriften initiierte Forderung nach einer Mobilitätswende dem Landtag NRW mit neun Maßnahmen beschrieben:

  1. Mehr Verkehrssicherheit auf Straßen und Radwegen
  2. NRW wirbt für mehr Radverkehr
  3. 1000 Kilometer Radschnellwege für den Pendelverkehr
  4. 300 Kilometer überregionale Radwege pro Jahr
  5. Fahrradstraßen und Radinfrastruktur in den Kommunen
  6. Mehr Fahrradexpertise in Ministerien und Behörden
  7. Kostenlose Mitnahme im Nahverkehr
  8. Fahrradparken und E-Bike Stationen
  9. Förderung von Lastenrädern

Mit keiner Silbe liest man davon im Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW

Leider sind diese Forderungen im Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW nicht explizit genannt, wodurch  das neue Gesetz mehr als schwammig ist. Die aktuelle Fassung des Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes NRW bleibt deutlich hinter den eigenen Ansprüchen des neuen Ministerpräsidenten zurück.

Weitere „Baustellen“, die Herr Wüst seiner Nachfolgerin, Frau Ina Brandes, hinterlassen hat, sind:

Radschnellwege, die längst fertig sein sollten, wie zum Beispiel der RS 1, der Radschnellweg Frechen-Köln oder der Radschnellweg Neuss-Düsseldorf-Langenfeld. Weiter hakt es an der Umsetzung straßenbegleitender Radwege an den Landesstraßen in NRW, obwohl Kommunen und Kreise sie seit Jahren fordern. Viel Zeit hat die neue Verkehrsministerin nicht, sich um diese Projekte zu kümmern. Sie wird, wie auch ihre und alle anderen Parteien, in den Wahlkampfmodus wechseln. Am 15. Mai 2022 sind in NRW Landtagswahlen. Eine Woche vorher, am 08. Mai, ist die große Radsternfahrt NRW. Wir fahren mit den Rädern zum Landtag nach Düsseldorf, siehe Seite 19 in diesem Heft.

Schlechte Noten für den Radverkehr in NRW

Eine große Enttäuschung ist ebenfalls die Note „ausreichend“ für NRW beim ADFC Fahrradklima-Test 2020. Im Herbst 2022 können die Menschen noch einmal beim Fahrradklima-Test beurteilen, wie es um den Radverkehr in ihren Kommunen bestellt ist. Die Note 4,0 für Leverkusen lässt grüßen. Unterm Strich fällt die Bilanz der Verkehrsministertätigkeit von Hendrik Wüst aus Sicht der Radfahrenden, trotz Etaterhöhungen und guter Impulse, enttäuschend aus. Die neue Verkehrsministerin, Frau Ina Brandes, versprach am

04. November 2021 im Landtag vollmundig, dass sie alles dafür tun wird, den Radverkehrsanteil von derzeit mickrigen 9 auf 25 Prozent zu erhöhen.

Übrigens: Geld allein baut keinen Radweg. Es braucht insbesondere strukturelle und organisatorische Verbesserungen und mehr Verbindlichkeit, die unter anderem durch umfassende Nachbesserungen im Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz erreicht werden könnten. Und das können die Bewerberinnen und Bewerber für ein Landtagsmandat ruhig in ihre Agenda aufnehmen.

Steigerung des Radverkehrsanteils auf 25% bis 2025

Der ADFC Leverkusen fragt sich auch, wie die Stadt Leverkusen den Radverkehrsanteil bis 2025 auf 25 Prozent steigern will? Diese Frage hat der ADFC Leverkusen im November dem Oberbürgermeister Richrath gestellt und ……… eine nicht akzeptable Antwort erhalten. Eine erneute Anfrage an den Oberbürgermeister, Anfang Dezember, blieb bis heute unbeantwortet.

Wie soll es jetzt auf der kommunalen Ebene weitergehen?

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Mobilitätskonzept 2030+ so viele Möglichkeiten bietet, die Verkehrswende für die Bürgerinnen und Bürger aktiv anzustoßen. Es liegen weitere Anträge, Fahrradstraßen einzurichten, vor; siehe Anhang VII im Mobilitätskonzept 2060+. Hier sind die Straßen aufgeführt, die von der Planersocietät als Fahrradstraßen vorgeschlagen sind. Vergesst aber nicht die Fußgänger und den ÖPNV.

Reduktion des ruhenden Verkehrs?

Es lohnt sich bestimmt, einmal unkonventionell darüber nachzudenken, ob der ruhende Verkehr eingeschränkt werden soll. Hier geben uns die Schweizer Nachhilfe. Dort wird jede Abstellung eines motorisierten Fahrzeuges auf öffentlichem Grund (z. B. die Straße) nur noch bis 15 Minuten akzeptiert. Will der Fahrzeugnutzer das motorisierte Fahrzeug länger abstellen, so muss er sich privat darum kümmern. Eine länger als 15 Minuten dauernde Abstellung auf öffentlichem Grund wird nicht mehr geduldet. Was macht das Schweizer Vorbild mit den Nutznießern des autogerechten Deutschland? Genau, der deutsche Autofahrer bekommt Panikattacken und Schweißausbrüche. Wohlgemerkt, liebe Leserinnen und Leser, der Autor fährt, wenn es wirklich notwendig ist, selbst Auto. Vielleicht ist aber auch ein prinzipielles Umdenken in Deutschland erforderlich? Hat beim Kauf eines Autos der Käufer das Recht mit erworben, auf öffentlichem Grund und Boden kostenlos oder, von der Kommune subventioniert, preisgünstig parken zu dürfen? In Leverkusen sogar „für `n Appel und `n Ei“! Gehen wir noch einen Schritt weiter. Wie wir alle wissen, stehen Autos im Schnitt 23 Stunden pro Tag ungenutzt rum. Der Autobesitzer selbst soll sich um einen privaten Stellplatz kümmern. Ist es Aufgabe des Staates, sich um Parkplätze für die Bürger zu kümmern? Sehen wir doch alles einmal realistischer: Viele parken verboten, weil es keine freien Parkplätze gibt. Sie wissen auch, dass fast nicht kontrolliert wird. Ein Verwarngeld zwischen 10 € bis 20 € tut nicht weh und liegt in der Summe unter den Parkgebühren. Ist Falsch-Parken eine günstigere Alternative zum Richtig-Parken? Obwohl, nicht nur in Leverkusen, genügend Garagen, Carports und Abstellmöglichkeiten im privaten Umfeld vorhanden sind, werden die Autos einfachheitshalber kostenlos auf öffentlichem Grund und Boden abgestellt, weil ……. ja, warum? Weil beispielsweise Garagen als Lagerstätten für Gerümpel, Werkstätten und sogar als Holzmieten (da ist es trocken) genutzt werden? Manche Garagen stehen sogar leer, weil das neue, breitere Fahrzeug nicht mehr hineinpasst. Ist dafür der Staat zuständig? In Tübingen steigt die Gebühr für das Anwohnerparken ab 2022 übrigens auf mindestens 120 €. Die Gebühren sind gestaffelt. Breitere und schwerere Autos zahlen mehr.

Parkgebühren in Leverkusen auf 4 €/Stunde erhöhen?

Die Debatte über die Höhe der Parkgebühren ist gleichzeitig eine Debatte für das Klima. Wir haben schon seit längerem ein Klimaproblem. Aber so einfach ist es nicht, das Klimaproblem zu lösen. Ein sicherer Ansatz wäre, das Autofahren in den Städten unattraktiv zu machen bei gleichzeitiger Schaffung von besseren Alternativen. Eine Alternative ist, das Parken zu verteuern. Parken muss teurer als ein Ticket für den VRS werden. Zurzeit lachen die Lobbyisten der Automobilindustrie die Kommunen aus! Die Tickets werden jedes Jahr teurer und die Parkgebühren billiger -  jedenfalls in Leverkusen!!! Hier haben sich die Parkgebühren seit fast 20 Jahren nicht erhöht. Das glauben Sie nicht? Wir können es Ihnen bestätigen, sprechen sie uns an. Im Gegensatz dazu haben sich die Preise im VRS innerhalb von 20 Jahren jedes Jahr um 3,02 % im Mittelwert erhöht! Das glauben Sie nicht? Wir können es Ihnen bestätigen, sprechen sie uns an. Erst wenn Parken teurer ist als ein ÖPNV-Ticket wird der ÖPNV eine echte Alternative.

Wenn zwei Personen mit der Wupsi von Rheindorf nach Wiesdorf und zurück fahren, zahlen sie im ÖPNV 10 €; dafür können sie in der Wiesdorfer City 10 Stunden parken. Ist das nicht bemerkenswert?

In der Kölner Innenstadt parken Autofahrer für 4 € die Stunde (in Wiesdorf für 1 €). Die Wirtschaft und der Einzelhandel in Köln sind noch NICHT zusammengebrochen, weil das Parken so teuer ist. Im Gegenteil, trotz dieser hohen Parkgebühren ist der Wille ungebrochen, in Köln einzukaufen. Die Nutzer der motorisierten Fahrzeuge sind zum Einkaufen nicht nach Leverkusen abgewandert! Solange die Leverkusener Parteien ihre Hände über das „Autogöttliche“ halten, wird in Leverkusen nichts passieren. Was wäre also zu tun? Ein Vorschlag wäre, dass sich die Leverkusener Parteien und Wählergemeinschaften sowie ihre Vertreter in den Ausschüssen, Bezirksvertretungen und im Stadtrat verordnen, eine dreiwöchige „Auto-Auszeit“ zu nehmen und in der Zeit vom 29. Mai bis 18. Juni am Stadtradeln teilzunehmen!

Ein starkes Zeichen für Leverkusen setzen!

Das wäre ein wichtiges und starkes Zeichen, dass alle die Verkehrswende wollen. Außerdem würde es weit über Leverkusens Grenzen hinaus, sogar bundesweit, große Aufmerksamkeit erzeugen. Liebe Politikerinnen, liebe Politiker, haben Sie doch bitte den Mut, als einzige Kommune dieses starke Zeichen zu setzen. Die Bürgerinnen und Bürger dieser autogerecht gestalteten und damit gebeutelten Stadt werden es Ihnen danken.

Aber damit wäre das Thema Verkehrswende nicht erledigt. Hier müssen die Ratsfrauen und Ratsmänner nachlegen und ihrem Abstimmungsergebnis vom 25. Juni 2020 Taten folgen lassen, wobei es hier dann ans „Eingemachte“ geht.

Da wäre beispielsweise die Rücknahme der Parkplätze, die halbseitig auf dem Bürgersteig und die Parkplätze, die ganz auf dem Bürgersteig gekennzeichnet sind. Die Bürgersteige sind für die Bürgerinnen und Bürger vorgesehen und nicht für das Abstellen von Autos! Die Rücknahme oder der Rückbau dieser Parkkennzeichnung kostet fast kein Geld (Entfernen der weißen Kennzeichnung und der Schilder), sondern kosten der Stadtpolitik Mut zu solch einer Entscheidung. Und es kostet noch mehr Mut, es vor einer Wahl (Landtagswahl) zu tun.

Radwege auf ein normales Maß ausbauen

Radwege müssen nicht nur saniert, sondern auch auf die von der ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) vorgegebene Radwegbreite ausgebaut werden. Die derzeit laufenden Planungen in der Stadt Leverkusen sollten das berücksichtigen. Von welchen Breiten reden wir hier? Ein Einrichtungsradweg sollte eine Breite von 2,00 Metern haben. Zusätzlich kommt ein Sicherheitstrennstreifen zur Fahrbahn von 0,50 Metern, bei hoher Verkehrsstärke 0,75 Meter, hinzu. Das macht zusammen 2,75 Meter.

Und jetzt kommen leider die Stellen zum Lachen:

Das erste Beispiel: Der Einrichtungsradweg auf der Rathenaustraße ist 1,40 Meter breit und hat keinen Sicherheitstrennstreifen von 0,75 Metern und das bei dem extrem hohen Verkehrsaufkommen auf dieser Straße!

Das zweite Beispiel: Der beidseitige Zweirichtungsradweg an der Gustav-Heinemann-Straße muss als Regelmaß 2,50 Meter und (wenn der Radweg an der Fahrbahn geführt wird) einen Sicherheitstrennstreifen von 0,75 Meter aufweisen. Auf beiden Fahrtrichtungsseiten wird das Regelmaß unterschritten!

Das dritte Beispiel: Der einseitige Geh- und Radweg an der Solinger Straße. Der Geh- und Radweg hätte eigentlich eine Breite von 2 Metern, hat aber nur eine Breite von 1,70 Meter!!! Die 15 cm auf beiden Seiten sind mit Gras überwachsen! Wie sieht es hier mit den vorgesehenen Maßen aus? Einseitiger Zweirichtungsradweg 3,00 Meter, erforderlicher Sicherheitstrennstreifen von 0,75 Meter (die Solinger Straße ist eine Straße mit hoher Verkehrsstärke), Sicherheitsstreifen zum Gehweg 0,25 Meter, Gehweg 2,00 Meter. Zusammen 6,00 Meter.

An diesen drei Beispielen können Sie sich abarbeiten, liebe Stadtpolitikerinnen und liebe Stadtpolitiker. Wenn Sie zusätzlich das Durchhaltevermögen und das Verständnis für Verkehrssicherheit haben, wird es Ihnen sicherlich nicht schwerfallen.

Kurt Krefft

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