12. Folge Wir brauchen dringend die Verkehrswende
Der Artikel aus dem Rad-Anzeiger 2-2023
Wir brauchen dringend die Verkehrswende
Dies ist der 12. Appell an die Leverkusener Politikerinnen und Politiker, endlich die dringend benötigte Verkehrswende nicht nur einzuleiten, sondern vehement umzusetzen. Leider lässt sich die bisher gewonnene Wahrnehmung, dass die Angesprochenen kein Interesse an der Verkehrswende haben, nicht so einfach wegwischen. Nach Äußerungen einiger Mandatsträger entsteht der Eindruck, dass der Klimawandel etwas Vergängliches ist und der Klimaschutz nicht unbedingt beachtet werden muss. Es bleibt auch festzustellen, dass sich die Gesellschaft, also wir alle, von dem 1,5 Grad-Ziel (alles zu tun, damit die Durchschnittstemperatur +1.5 Grad nicht überschritten wird) verabschiedet hat, weil die Politik nicht die notwendigen Schritte nach vorne gehen will. Dabei wäre es so einfach:
- Wir werden das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Sicherheit und dem störungsfreien Fluss des Verkehrs (Straße, Schiene, Rad- und Fußverkehr) die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen. ….. (Auszug aus dem Koalitionsvertrag 2021).
- Wir werden den Nationalen Radverkehrsplan umsetzen und fortschreiben, den Ausbau und die Modernisierung des Radwegenetzes sowie die Förderung kommunaler Radverkehrsinfrastruktur vorantreiben. Zur Stärkung des Radverkehrs werden wir die Mittel bis 2030 absichern und die Kombination von Rad und öffentlichem Verkehr fördern. Den Fußverkehr werden wir strukturell unterstützen und mit einer nationalen Strategie unterlegen (aus dem Koalitionsvertrag 2021).
Welche Entscheidungen hat der Bundesfinanzminister seitdem gefällt? Er halbiert einfach die Mittel für den Radverkehr, um in seinem Haushalt zu sparen; das ist ein Verstoß gegen die Koalitionsvereinbarung. Dabei wäre es so wichtig, den Radverkehr mit allen Mitteln zu fördern, weil dieser der einzige Straßenverkehr ist, der klimaneutral läuft.
Merke: Ein Fahrrad stinkt nicht und ist leise.
Ob die Novelle zum Straßenverkehrsgesetz kommt? Wir hoffen es, denn ohne Änderung des Straßenverkehrsgesetzes werden die Entscheidungsspielräume der Kommunen immer enger gefasst und Verbesserungen für den klimaneutralen Radverkehr bleiben im Ansatz stecken.
Was wäre zu tun? Wählen die Bürger:innen beim nächsten Mal die Verkehrswende? Also die Partei, die sich für die Verkehrswende einsetzen wird?
- Schon die Ablehnung zum Beitritt in die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten …..“ durch den Beschluss des Stadtrates am 05.06.2023 mit 1 Stimme Mehrheit, hat gezeigt, dass ein Teil der Politiker:innen im Stadtrat Leverkusen den Reifegrad für Entscheidungen in unsere Zukunft noch nicht erreicht haben.
Müssen wir anders denken?
Dabei hören wir es oft, im Beruf, auf Vorträgen, auf Demonstrationen und sogar an Wahlkampfständen der örtlichen Parteien: „Wir müssen anders denken“. Ja, liebe Politiker:innen, dann setzen Sie es doch einmal um und denken anders. Vielleicht lesen unsere Politiker:innen die Vorlagen und Berichte über den Klimawandel und welche Maßnahmen ihn verlangsamen können, die bereits seit Jahren geschrieben sind und gehen die dringend benötigte Verkehrswende offensiv an. Als Beispiel führen wir die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo an, die den Verkehrsraum in der Pariser Innenstadt konsequent für den Radverkehr umgestaltet. Mit einer Geschwindigkeit, die bei unserer Stadtverwaltung und Stadtpolitik wohl Schwindel erzeugen würde.
In Leverkusen würde sicher schon bei den ersten Ideen für eine Umgestaltung der Einzelhandel auf die Barrikaden gehen, weil sie der Meinung sind, dass nur der motorisierte Individualverkehr (MIV), also die Autos, den Umsatz bringen. Das wird jedoch in mehreren Studien widerlegt.
„Wer als Geschäft nicht genug Parkplätze anzubieten hat, wird einen großen Teil seines Umsatzes verlieren.“ Dieses Märchen hält sich auch hartnäckig in den Stadtverwaltungen, bei den Stadtplanungsämtern, Straßenverkehrsämtern und bei den Verkehrsplanern. Dabei ist es genau umgekehrt; da, wo weniger Autoverkehr ist, haben die Geschäfte durch mehr Kundschaft höhere Umsätze.
Konflikte entstehen sofort, wenn Parkplätze wegfallen sollen
Wir erinnern uns: Die Fußgängerzone „Kö“ in Opladen wird nächstes Jahr 50 Jahre alt. Bevor dieses Vorhaben umgesetzt wurde, hat der Einzelhandel „Zeter und Mordio“ geschrien, wie z.B.: die Geschäfte gehen pleite, weil die Kunden nicht mehr mit dem Auto vorfahren können - Kein Handel ist aufgrund dessen in die Insolvenz gegangen. Im Gegenteil, die Menschen flanieren gerne in der Fußgängerzone, sie ist Treffpunkt für Jung und Alt. Die autofreien Straßen in Opladen mit den Abzweigungen in die Goethe- und die Bahnhofsstraße erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.
Schauen wir uns die Studien näher an. Die Einzelhändler fürchten häufig einen Rückgang ihrer Umsätze, wenn die Parkplätze reduziert werden. Tatsächlich schätzen sie das Mobilitätsverhalten ihrer Kunden falsch ein. Das Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit, ehemals IASS (Institute for Advanced Substainability Studies) in Potsdam hat eine Umfrage auf zwei Einkaufsstraßen in Berlin durchgeführt, indem sie 2.000 Kundinnen und Kunden sowie 145 Einzelhändler:innen am Kottbusser Damm sowie auf der Hermannstraße befragten. Die Mehrzahl der Einkaufenden - 93 % - hatte die Einkaufsstraßen ohne Auto erreicht. 91 % des Umsatzes, den die Kundinnen und Kunden erlöst haben, kamen von den Fußgängern, den Radfahrern und den Kunden, die mit dem ÖPNV unterwegs waren. Diejenigen, die mit dem Auto zum Einkauf gefahren sind, waren demnach nur für 9 % der Umsätze verantwortlich. 2019, also vor der Corona-Pandemie, wurden ähnliche Studien mit gleichen Ergebnissen in Offenbach, Gera, Erfurt, Weimar und Leipzig erhoben; diese Ergebnisse sind keine „Eintagsfliegen“. Händler:innen in den untersuchten Städten überschätzten den Anteil der Kundinnen und Kunden, die mit dem Auto unterwegs waren. In Berlin vermuteten sie den Anteil bei 22 %, tatsächlich lag dieser nur bei 7 %.
Aus diesem Grund können wir die Reaktion des Lebensmittel-Einzelhändlers an der Wupperstraße in Rheindorf-Süd nachvollziehen, dass er Umsatzeinbußen befürchtet, wenn vor seinem Geschäft Fahrradparkplätze entstehen sollten. Sicher hat er nicht seine Kundinnen und Kunden nach ihrem Mobilitätsverhalten befragt. Er geht von der irrigen Annahme aus, dass sein Umsatz wegbricht, wenn öffentlich finanzierte Parkplätze in Fahrradparkplätze umgewandelt werden. Auch die Stadtteilpolitik ist auf der Seite des Einzelhändlers. Die vielen Kundinnen und Kunden aber, die mit dem Fahrrad einkaufen kommen, werden von den entsprechenden Politikern ignoriert.
„Deine Ignoranz ist meine Radikalität“
Die Klimaaktivisten sind tätig, sie wurden in Leverkusen gesichtet. Am 14. Juli klebte sich eine Person gegen 10:20 Uhr am Kreisverkehr Wöhlerstraße/Nobelstraße in Wiesdorf fest und blockierte damit eine Fahrspur; zwei weitere Personen waren an der Aktion beteiligt. Die Polizei schritt ein, löste die festgeklebte Person vom Asphalt und stellte die Personalien der Beteiligten fest. Nach einer Stunde lief der Autoverkehr wieder. Die drei Aktivisten erwartet nun wohl eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und wegen Nötigung. Da fällt mir folgender Spruch zu ein: „Deine Ignoranz ist meine Radikalität“.
Wie oft wurde die Politik auf den Klimawandel hingewiesen! 2019 wurde großartig ein Klimaschutzgesetz verabschiedet, das von der aktuellen Politik ignoriert wird. Der Bundesverkehrswegeplan von 2016 muss beispielsweise nach dem Klimaschutzgesetz überprüft und aufgrund dessen müssen klimaschädliche Bauvorhaben gestoppt werden. Das wird von dem FDP-Verkehrsminister, Dr. Volker Wissing, geflissentlich ignoriert, obwohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten nahelegt, dass die Verkehrsplanung des Bundes rechtswidrig ist. Das heißt, viele der Projekte im Bundesverkehrswegeplan sind bei einer Umweltprüfung des Umweltbundesamtes durchgefallen; das setzt der Ignoranz des Bundesverkehrsministers die Krone auf.
Lindner halbiert die Gelder für Radwege
Auch der FDP-Finanzminister, Christian Lindner, will die Hälfte der Gelder für Radwege streichen. Das heißt, zahllose Radwege und Schutzstreifen können nicht gebaut werden - auch bei uns in Leverkusen. Für neue Autobahnen sitzt bei dem bekennenden Porsche-Fahrer das Geld wesentlich lockerer.
Bürger:innen, die sich für die Verkehrswende einsetzen und oft genug an der Ignoranz der Politiker:innen gescheitert sind, nehmen daher andere Mittel in Anspruch, um die Politik auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen. Das Ergebnis ist, dass die Politiker:innen die berechtigte Kritik an ihnen nicht mehr sachorientiert erkennen, sondern emotional beleidigt reagieren. Da kratzen (oder kleben) doch Wähler:innen an den Sockeln der Gewählten und fordern nur das ein, was die (beleidigten) Politiker:innen vor ihrer Wahl den Wähler:innen versprochen haben. Warum greift die Politik das Thema Klimaschutz nicht konsequent auf? Nein, das wäre ja zu viel Arbeit. Leichter ist es, die Klimaaktivisten als Terroristen zu beschimpfen und wirksame Strafen, von hohen Bußgeldern bis zu langen Haftstrafen, zu fordern. Die Politik muss endlich begreifen, dass sie schnellstens handeln muss, die erforderliche Verkehrswende muss flächendeckend umgesetzt werden.
Radwege als Schlüssel zur Verkehrswende
Radwege sind der eigentlich absolute Schlüssel für die erforderliche Verkehrswende, Radverkehr ist eine klimafreundliche Mobilität. Fehlende Radwege bedeuten für uns alle: Angst vor Autos, die zu dicht auffahren, grundlos hupen, mit weniger als 1,50 Meter Abstand überholen und, was auch vorkommt, die Radfahrenden plötzlich ausbremsen. Viele Autofahrende kennen die StraßenVerkehrsOrdnung (StVO) nicht oder nur teilweise und wollen trotz ihres lückenhaften Wissens die Radfahrenden maßregeln. Herr Bundesverkehrsminister, wir fordern sichere Radwege statt neuer Autobahnen!
Wir denken schon anders. Wir denken, wenn die Autobahngesellschaft mit den Arbeiten der Baustufen 2 und 3 für die Autobahnverbreiterung beginnen, ist es fast schon zu spät. Dann werden wir in Leverkusen eine Blechlawine erleben, die sich den Weg im Stadtgebiet zwischen den Abfahrten Leverkusen (A 3) und Opladen (A 3) sowie Autobahnkreuz Leverkusen West suchen wird. Die offizielle Umleitung, die bestimmt besser ausgeschildert wird als die Umleitungen für den Radverkehr, sind der Willy-Brandt-Ring und der Europaring mit der Fixheider Straße; eventuell kommen noch die Peschstraße und die Rheinallee dazu. Inoffiziell werden sich die PKW und LKW andere Straßen suchen, wenn die offizielle Umleitung verstopft ist. Das sind in erster Linie Heymannstraße, Manforter Straße, Stixchesstraße, Gustav-Heinemann-Straße, Bismarckstraße, Windthorststraße, Hardenbergstraße, … noch viel mehr Straßen werden betroffen sein. Es wird tatsächlich unaufhörlich „Stop and Go“ geben, woraufhin unsere Stadtpolitiker:innen erschrocken sagen werden: „So haben wir uns das nicht gedacht.“ Die Stadt Leverkusen ist hier schon anders vorbereitet. Es wird mit der Einziehung der Syltstraße gerechnet. Auf der Marie-Curie-Straße kann man erkennen, dass die Einmündung der Stichstraße, die auf das Gelände der Metro zeigt, eine vorbereitete Baumaßnahme war. Der Verkehr zum Lebensmittelgroß- und -einzelhandel sowie zum Baumarkt kann nur über die Borkumstraße erfolgen. Der abfließende Verkehr muss dann über die neu zu bauende Straße mit Eisenbahnunterführung geleitet werden.
Wir, der ADFC Leverkusen, setzen uns für den nichtmotorisierten Verkehr ein, vornehmlich den Radverkehr. Wir fordern daher von der Stadtverwaltung Leverkusen, vom Rat und den Bezirksvertretungen der Stadt Leverkusen:
- eine sichere Radinfrastruktur
- ausreichend breite Radwege
- sichere Straßen für den Radverkehr
- sichere Schulstraßen
- sichere Radfahrstreifen
- mehr Fahrradstraßen und Fahrradzonen
- gute Verkehrsausbildung in den Schulen
- klare, eindeutige Beschilderungen
- ein klares Bekenntnis der Verantwortlichen zum Radverkehr
- die Umsetzung der 8 Leitziele, der Vorschläge und Handlungsempfehlungen des Nationalen Radverkehrsplanes 3.0 auf kommunaler Ebene
- bis 2025 den Radverkehrsanteil auf 25 % zu erhöhen
- die Ziele des Mobilitätskonzept 2030+ für den Radverkehr zügig umzusetzen
Kurt Krefft